Das Cytoskelett der vielkernigen Süßwasseramöbe Reticulomyxa filosa ist in vielen Eigenschaften optimal an den für diesen Rhizopoden typischen ständigen und rapiden Umbau der zellulären Organisation angepaßt. Die Untersuchung der Cytoskeletts dieser Amöbe gibt daher Aufschluß über die enormen Fähigkeiten und die Variabilität des allen Eucyten gemeinsamen Cytoskelettapparates.

Dynamik des mikrotubulären Cytoskeletts

Das Cytoskelett von Reticulomyxa ist in erster Linie auf Mikrotubuli gestützt. In dieser Arbeit wurde mit Hilfe der "Hook-Dekoration" mit Hirntubulin gezeigt, daß die Mikrotubuli in dieser Zelle weitestgehend der konventionellen Orientierung folgen und mit dem plus-Ende in der Zellperipherie liegen, während das minus-Ende zum Zellkörper weist.

Mit Hilfe der Antikörper CTR210 und Anti- Reticulomyxa-g-Tubulin wurde gezeigt, daß Reticulomyxa über kleine, punktförmige, über das gesamte reticulopodiale Netzwerk verstreute, Mikrotubuli-organisierende Zentren verfügt. Diese MTOCs stimmen höchstwahrscheinlich mit elektronenmikroskopisch gefundenen 60x25nm großen kragenförmigen Proteinkomplexen an den Enden der MT überein. Diese Proteinkomplexe bedecken alle beobachteten plus-Enden von MT und wahrscheinlich ebenfalls einen Teil oder alle minus-Enden. Nach Behandlungen, die Mikrotubuli in Reticulomyxa abbauen, wachsen regenerierende MT an diesen MTOCs wieder aus.

Es wurde nachgewiesen, daß die MT von Reticulomyxa in vivo und teilweise auch in-vitro relativ stabil gegen viele MT-gerichtete Agenzien sind. Colchicin und Nocodazol wirken erst in hohen Konzentrationen auf die MT, ebenso Calcium-Ionen und Kälte.

Die Mikrotubuli in Reticulomyxa lassen sich durch millimolare Gaben von Magnesiumchlorid oder anderen Salzen in vivo und teilweise auch in vitro in helikale Filamente überführen. Diese Umwandlung ist unabhängig von der Zufuhr von Stoffwechselenergie, wie durch Versuche mit DNP-behandelten oder lysierten Zellen gezeigt werden konnte. Während die Umwandlung von MT in helikale Filamente über die ganze Länge der MT gleichzeitig erfolgt, scheint der Wiederaufbau von MT von den terminalen MTOCs auszugehen.

Möglicherweise hat die MT-stabilisierende Droge Taxol keine Wirkung auf die MT von Reticulomyxa, da die Taxol-Bindestelle zwischen benachbarten Protofilamenten lokalisiert ist. Die MT von Reticulomyxa werden meist zu helikalen Filamenten abgebaut, in denen die Bindungen zwischen den benachbarten Protofilamenten bestehen bleiben; daher ist es möglich, daß Taxol nur Bindungen im MT stabilisiert, die von dieser Umwandlung nicht betroffen sind.

Aufgrund der neuen Ergebnisse wurden die bestehenden Modelle für die Dynamik des mikrotubulären Cytoskeletts in den Granuloreticulosea weiterentwickelt: Die MT in Reticulomyxa werden organisiert von terminalen MTOCs; sie können sich direkt in helikale Filamente und wahrscheinlich auch freies Tubulin umwandeln. Die helikalen Filamente ihrerseits können zu Tubulin-Parakristallen aggregieren oder zu freiem Tubulin dissoziieren.

Actinorganisation und Zelladhäsion

In dieser Arbeit wurde gezeigt, daß die bisher bekannten actingestützten Strukturen nur einen Bruchteil des Actin-Cytoskeletts von Reticulomyxa darstellen. Außer den MT-begleitenden oder in Lamellipodien dispergierten Actinfilamenten gibt es eine Reihe separater Strukturen mit differenzierten Funktionen: Actinfilamentbündel stabilisieren die Ausrichtung einzelner Pseudopodien in Verzweigungen und bei der Ablösung vom Untergrund. Wurzelförmige Actinaggregate dienen dem Transport größerer Plasmamassen durch das RPN. Actinsäume an den Rändern von Lamellipodien dienen deren Ausbreitung, und Actin stabilisiert einige der Anheftungsstellen am Substrat.

Außerdem fanden sich Indizien dafür, daß es eine Klasse bisher noch unbekannter Filamente geben muß, die weder dem Actin- noch dem Tubulin-Cytoskelett zuzurechnen sind und die für einen fokalen Kontakten ähnlichen Teil der Substratanheftung verantwortlich ist.

Tubulin-Isoformen, Glu/Tyr Paradoxon

Die Tubulin-Isoformen von Reticulomyxa wurden in ein- und zweidimensionaler PAGE identifiziert. Die Molekulargewichte wurden außer mit herkömmlichen Methoden mit der neuen Technik der MALDI-TOF-Massenspektrometrie bestimmt. Dabei zeigte sich die MALDI-TOF-MS der elektrophoretischen Gewichtsbestimmung weit überlegen, da ihre Ergebnisse deutlich näher an dem aus der Gensequenz errechneten Gewicht liegen.

Zu einem in dieser Arbeit beschriebenen a-Tubulin ist bislang die korrespondierende Gensequenz nicht gefunden worden. Es handelt sich um ein äußerst aberrantes a-Tubulin mit einem MW von 46 kD.

Die Tubuline von Reticulomyxa unterliegen vielfältigen posttranslationalen Modifikationen, so daß sie in einer Vielzahl von Isotypen vorliegen. Diese wurden hinsichtlich ihres Molekulargewichts und ihres isoelektrischen Punktes beschrieben. Zusätzlich wurde durch kompetetiven Einsatz von Antikörpern in der Immunfluoreszenz und im Western Blot, sowie durch Untersuchungen an Cysten mit depolymerisierten MT gezeigt, daß ein Tyrosinierungs/Detyrosinierungszyklus der Tubuline anscheinend fehlt.

Cysten

Die Bildung von Dauerstadien bei Reticulomyxa wurde beschrieben, und es wurden bloße Ruhestadien von definitiven Cysten unterschieden.

Die Cystenbildung bei Reticulomyxa verläuft analog derer vieler anderer Protisten. Sie wird durch Hunger induziert, geht einher mit der Autophagie vieler Zellorganelle und führt zur Bildung eines dickwandigen, teilweise dehydrierten Dauercyste mit suspendiertem Stoffwechsel und einem großen Pool nicht-polymerisierten Tubulins.